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Interdisziplinarität braucht interdisziplinäre Gutachten


Simon Hegelich

Alle sagen, interdisziplinäre Forschung ist so wichtig und fast alle sind sich darüber einig, dass es unglaublich schwierig ist, eine Förderung für interdisziplinäre Projekte zu bekommen. Ich kandidiere für das DFG-Fachkollegium Politikwissenschaft, um das zu ändern.

Interdisziplinarität wird zwischen den Fächern aufgerieben

Die Struktur der DFG sieht vor, dass Anträge an ein spezifisches Fachkollegium geschickt werden. Bei interdisziplinären Anträgen besteht die Gefahr, dass der fachübergreifende Anteil der Projekte nicht ausreichend gewürdigt wird und Gutachter*innen ausgewählt werden, die Teile des Antrags eigentlich nicht bewerten können. Zudem haben interdisziplinäre Anträge einen Nachteil: Gerade beim Stand der Forschung müssen sie überzeugend den Stand in zwei oder mehr Disziplinen aufzeigen, ohne dass dafür der Raum zur Verfügung steht. Wer schon einmal Anträge eingereicht hat, weiß welch großes Problem darin bestehen kann, alles notwendige auf den zur Verfügung stehenden Seiten unterzubringen.

Zwei Fachperspektiven ergeben keine interdisziplinäre Perspektive

Auf der Internetseite der DFG findet sich folgendes Statement zur interdisziplinären Arbeitsweise der Fachkollegien: „Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten immer wieder auch über Fächergrenzen hinweg zusammen. Um auch solche interdisziplinären Anträge optimal bewerten zu können, arbeiten auch die Fachkollegien zusammen. Für die Entscheidung von solchen Einzelfällen kommen beispielsweise Gäste aus anderen Fachkollegien zu Sitzungen oder zwei Fachkollegien äußern sich nacheinander inhaltlich zu einem Antrag.“ (https://www.dfg.de/dfg_profil/gremien/fachkollegien/index.html, versteckt in der Galerie als Bildunterschrift von Bild 8). Dieses Statement legt das ganze Problem offen. Nur weil Expert*innen aus zwei Fächern einbezogen werden, entsteht dadurch noch lange keine interdisziplinäre Einschätzung. Im Zweifelsfall erhöht sich eher die Chance, dass die eine oder andere Gruppe aus ihrer Fachperspektive den Antrag für nicht wirklich überzeugend hält, zumal für jedes Fach ja auch nur der halbe Platz im Antrag zur Verfügung steht. Die DFG bekennt sich zwar zur Förderung der Interdisziplinarität, aber nur als untergeordnetes Ziel: „Übergeordnetes Kriterium ist aber stets die Forderung nach wissenschaftlicher Qualität, andere Gesichtspunkte sind nachgeordnet.“ (https://www.dfg.de/dfg_profil/geschichte/foerderung_gestern_und_heute/aktuelle_strategie/index.html) Sicher gibt es auch viele positive Gegenbeispiele, wo ein interdisziplinäres Projekt (trotzdem?) gefördert wurde, aber man muss schon ziemlich suchen, um ein interdisziplinäres Projekt in der Einzelförderung zu finden.

Interdisziplinäre Gutachter*innen für interdisziplinäre Projekte

Die Lösung ist ganz einfach: Wir brauchen Fachkollegien, die darauf achten, dass interdisziplinäre Anträge von Gutachter*innen bewertet werden, die selbst Erfahrung mit interdisziplinärer Forschung haben. Diese Projekte sind ja nicht wissenschaftlich schlechter, sondern offenbar sind viele Gutachter*innen nicht wirklich in der Lage, über ihren fachlichen Tellerrand zu schauen. Zumindest hält sich dieses Vorurteil bei allen Kolleg*innen, mit denen ich gesprochen habe und die interdisziplinär tätig sind.
Deshalb kandidiere ich für das DFG-Fachkollegium Politikwissenschaft. Die Wahl startet am 21.10.2019 und geht bis zum 18.11.2019, online über diesen Link: https://www.dfg.de/dfg_profil/gremien/fachkollegien/fk_wahl2019/index.jsp

Was viele nicht wissen: Man darf seine Stimmen über alle Fächer verteilen! Jede*r hat sechs Stimmen und kann bis zu drei Stimmen einer Person geben, egal in welchem Fach!

Wahlberechtigt sind alle promovierten Mitarbeiter*innen einer deutschen Forschungseinrichtung. Genaueres erfährt man hier: http://www.dfg.de/formulare/70_01/70_01_de.pdf

Wer wahlberechtigt ist, sollte schriftlich Wahlunterlagen bekommen haben, die so aussehen:

Wer keine Unterlagen bekommen hat, fragt am besten bei seiner Wahlstelle nach: https://www.dfg.de/download/pdf/dfg_im_profil/gremien/fachkollegien/fk-wahl2019/wahlstellenliste.pdf

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