Kritiker der Corona-Politik führen immer häufiger den Begriff Faschismus im Munde, um die politischen Maßnahmen zu beschreiben. Einerseits ist damit natürlich eine polemische Ablehnung verbunden: Wer will schon für Faschismus sein? Generell ist der moralische Vorwurf, etwas sei faschistisch oder faschistoid in der demokratischen Auseinandersetzung durchaus geläufig. Dabei wird jedoch meist auf etwas verwiesen, was zum demokratischen Staat dazu gehört und gerade keinen Faschismus begründet: Die Polizei, die das Gewaltmonopol durchsetzt, ist keine faschistische Organisation, ein Parlament, welches Bürgerrechte einschränkt, ist kein Beleg für die faschistische Aufhebung des Rechtsstaats und ein Medienartikel, der dazu aufruft, Bürger sollen Straftäter anzeigen, ist keine faschistische Propaganda, usw. All dies sind Beispiele für das Leben in demokratischen Gemeinwesen. Anstatt die Demokratie also immer gleich auf dem Weg in den Faschismus zu wähnen, wäre es angebracht, sich zu fragen, warum solche unangenehmen Aspekte in der besten aller Staatsformen ihren notwendigen Platz haben. Über Faschismus wird häufig bloß gesprochen, weil man keine Kritik an den demokratischen Verhältnissen zustande bringt. Die Warnung, die Demokratie könnte in den Faschismus abrutschen, wenn nicht „wir alle“ uns als „gute Demokraten“ betätigen, ist extrem affirmativ. Sie fällt in die Kritik zusammen, dass die Demokratie als Herrschaftsform in keiner Weise zu beanstanden ist, solange sie bleibt, was sie ist. Insofern spricht einiges dafür, den Begriff des Faschismus ganz aus der politischen Diskussion zu streichen.
Gleichzeitig wird die Forderung, über Faschismus nicht zu sprechen, zu Recht ein Unbehagen auslösen. Denn es gibt eine Differenz zwischen dem normalen demokratischen Herrschaftsapparat und dem Faschismus an der Macht, zwischen einer politischen Partei und einer faschistischen Bewegung und zwischen dem „normalen“ Nationalismus und der faschistischen Ideologie. Auf den Begriff des Faschismus verzichten zu wollen wäre daher ebenfalls eine Verharmlosung, sofern es um wirklichen Faschismus geht. Den Dingen einen passenden Namen geben, ist dabei mehr als eine theoretische Fingerübung. Es geht nicht darum, ob sich etwas unter den Begriff des Faschismus subsumieren lässt, um dann wie in einem Gerichtsprozess, in dem jeder Fall unter das Recht subsumiert wird, einen „Beweis“ zu führen und nachher sagen zu können: Schuldig im Sinne der Anklage. Bei der begrifflichen Bestimmung geht es darum, zu verstehen, was die Welt ist und wie das, was wir vorfinden, seinem Begriff nicht entspricht.
Im Folgenden geht es daher darum, einen Begriff des Faschismus zu entwickeln und dann aufzuzeigen, was und was nicht an der Corona-Politik faschistisch ist – und was eben zur normalen demokratischen Herrschaft gehört.
Was ist Faschismus?
Zum Glück gibt es keine DIN-Norm für Faschismus. Wir können keine Checkliste abarbeiten und die Definitionen die es gibt sind widersprüchlich und disparat. Die Autoritäten auf dem Gebiet können sich nicht einmal einigen, ob Faschismus eine historische Herrschaftsform, eine Ideologie oder eine psychologische Charaktereigenschaft ist. Wir müssen also selber denken.
Die Frage, ob und inwiefern die Corona-Politik faschistisch ist, ergibt nur dann einen Sinn, wenn wir davon ausgehen, dass Faschismus eine Ideologie ist, die sich nicht erst in einem fertigen Herrschaftssystem zeigt. Lyons startet mit den folgenden Bestimmungen: “Fascism is a form of extreme right-wing ideology that celebrates the nation or the race as an organic community transcending all other loyalties.” (Lyons 1997) Dabei verweisen die Begriffe "rechtsextreme Ideologie" und “Nation oder Rasse als organische Gemeinschaft” reflexiv aufeinander: Die Überhöhung der eigenen Nation und der Glaube an einen organischen Volkskörper sind ja gerade die entscheidenden Merkmale des Rechtsextremismus. Und lässt man das zunächst unbestimmte “über” der Überhöhung außer Acht, dann ist die nationale Gemeinschaft auch ein Kernkonzept der Demokratie, in der die Politiker ja “dem deutschen Volke” dienen. Der analytische Gehalt des Definitionsversuchs liegt daher im hinteren Teil des Satzes: Der Faschismus setzt den Gedanken der Volksgemeinschaft an erste Stelle und gibt ihm Priorität gegenüber allen anderen Loyalitäten.
Was sind diese Loyalitäten, gegen die sich der Faschismus wendet? Lyons geht der Frage im Vergleich zu den Ideologien des Liberalismus, des Konservatismus und des Sozialismus nach.
Am Liberalismus stört den Faschismus die Betonung der individuellen Autonomie und der unveräußerlichen persönliche Rechte. Die Unterordnung unter die Nation bedeutet, dass diese individuellen Freiheiten nur insofern Bestand haben, wie sie einen Beitrag zum Wohle der Volksgemeinschaft leisten. Materialismus und Individualismus, die sich nicht am nationalen Wohl relativieren sind Zeichen eines moralischen Verfalls, einer Zersetzung des Volkskörpers. Diese Kritik richtet sich nicht nur gegen die Individuen, sondern auch gegen das demokratische System, gegen den repräsentativen Parlamentarismus, der ständig die Berücksichtigung von Partikularinteressen einfordert und gegen die Gewaltenteilung, die den unbedingten Dienst am nationalen Wohl an den persönlichen und institutionellen Rechten relativiert und der Regierung Schranken setzt. Diese faschistische Kritik ist gerade nicht radikal: Individualismus, Materialismus, Parlamentarismus usw. haben insofern eine Daseinsberechtigung, sofern sie dem eigentlichen Auftrag – zum Wohle der Nation – nicht im Wege stehen oder ihn sogar fördern. Nicht einmal das private Gewinnstreben ist per se schlecht, solange es der Nation die Mittel zuspielt, die sie benötigt.
Die faschistische Kritik am Konservatismus zielt auf den Gedanken, die bestehende Ordnung wäre an sich erhaltenswert. Der Faschismus geht ja gerade davon aus, dass Volk und Nation in einem schlechten Zustand sind und deshalb “die alten Zöpfe abgeschnitten” werden müssen. Gleichzeitig hat der Faschismus kein Problem damit, konservative Werte aufzugreifen, insbesondere, um die historische Gewachsenheit der eigenen Nation zu betonen. Die Nation soll sich auf ihre alten Werte besinnen und so die herrschende Krise überwinden. “It emphasizes a myth of national or racial rebirth after a period of decline or destruction.” (Lyons 1997)
Der Sozialismus – zumindest soweit er eine Gegenbewegung in kapitalistischen Ländern war – widerspricht dem Faschismus radikal: Erstens sieht der Sozialismus keinen homogenen Volkskörper oder eine zu einende Nation, sondern behauptet, es wären unüberbrückbare Gegensätze zwischen Klassen am Werk. Zweitens hat sich der historische Sozialismus unter dem Schlagwort: “Proletarier aller Länder vereinigt euch!” auch gegen jede nationale Abgrenzung gewandt. Einige Konzepte, die in der Sozialistischen Ideologie immer wieder auftauchen, stellen jedoch keinen Gegensatz dar: Vorstellungen, dass der Staat für sein Volk zu sorgen hätte – und da eben auch für die unteren Schichten – passen sehr gut in die faschistische Ideologie, genau so wie die Unterscheidung zwischen “raffendem und schaffendem Kapital” oder Verschwörungstheorien einer globalen Finanzelite, die das Weltgeschehen heimlich – und gegen die Nation – lenkt.
Die Unversöhnlichkeit des Faschismus mit anderen politischen Ideologien liegt in der Radikalität der Analyse der Ausgangssituation. Es herrscht eine nationale Krise und die muss mit allen Mitteln überwunden werden. Dahinter müssen alle anderen Anliegen, selbst wenn der Faschismus sie nicht in ihrer Gänze negiert, zurückstecken. Es ist daher treffend anzumerken, dass der Faschismus die demokratische Notstandsverordnung als neuen Normalzustand setzt.
Wie äußert sich die faschistische Kritik in Bezug auf die konstatierte nationale Krise?
Für den Faschismus ist klar, dass es um die Nation sehr schlecht steht und dass die Schuld dafür beim Volk zu suchen ist. Ein Volk, dass sich in jeder Lebensregung hinter seinen Staat stellen würde, wäre nicht in einer Krise oder käme durch diese “schweren Zeiten” durch. Schaut man mit dieser Brille auf das Volk entdeckt man überall Egoismus, Dienstverweigerung und schlimmer noch, Elemente, die mit Agitation die Gesellschaft spalten um ihren Partikularinteressen Einfluss zu verschaffen. Politisch folgen drei Strategien aus dieser Kritik am Volk im Namen des Staates: Der Faschismus ist populistisch, in dem Sinne, dass er das Volk für sein Aufbruchprogramm agitiert. Leider zu Recht kann der Faschismus darauf setzen, dass die Argumentation, “wir alle” müssen uns für das “Gemeinwohl” einsetzen, um diese “schwere Krise” zu überwinden, durchaus verfängt. Bei der Agitation bleibt es aber (zweitens) nicht. Ziel ist es, die staatliche Gewalt so einzusetzen, dass das Volk zu seinem Dienst verpflichtet ist. Alte Rechte werden beschnitten und neue Pflichten formuliert, die sicherstellen sollen, dass jede Lebensregung im Volk (wieder) ein Beitrag zum nationalen Aufbruchprogramm darstellt. Drittens wird gegen Teile des Volkes der Vorwurf ins Spiel gebracht, dass sie gar nicht wirklich zum Volk gehören. Diese Leute müssen aus dem Volkskörper aussortiert werden. Die Logik dahinter ist, dass die Volksgemeinschaft eben dadurch be- und entsteht, dass sie den erwünschten Dienst leistet. Diese zirkuläre Bestimmung – das Volk dient der Nation, tut es das nicht, ist es kein Volk – ermöglicht den Ausschluss per Verdacht. Das Vorurteil, bestimmte Gruppen würden diesen Dienst versagen, braucht keine empirische Überprüfung. Es reicht, den Verdacht zu äußern und ihn zu belegen durch rassistische oder religiöse Argumente (wie beim Antisemitismus), durch Verweis auf einen der Sittlichkeit nicht entsprechenden Lebenswandel (zum Beispiel Homosexualität), durch aufspüren einer anti-nationalen Gesinnung (z. B. Kommunist:innen oder Sozialdemokrat:innen) oder durch Verweis auf eine andere Nationalität (alle Ausländer:innen). Neben der Vernichtung der falschen Elemente im Volkskörper gibt es noch die – eher langfristig angelegte – Möglichkeit der Verbesserung der eigenen Volksmasse. Dazu dienen (Um)erziehungskonzepte und direkte Eingriffe in die biologische Verfasstheit durch Eugenik und Zuchtprogramme.
An der Schuldfrage weitergedacht ergibt sich das zweite Muster der faschistischen Kritik: Wieso ist das Volk eigentlich so verwahrlost? Das kann nur dadurch passieren, dass die Politik ihrer Aufgabe nicht nachgekommen ist. Die Kritik an der Politik im Namen des Volkes findet bei der Politik lauter Gründe, warum die nicht das nationale Wohl gegen das Volk aber eben im Interesse der Nation durchgesetzt hat. Korruption bis hin zur Fernsteuerung durch (ausländische) Agenten kann eine Erklärung sein. Vor allem aber eine falsche Rücksichtnahme, die Politiker:innen aus populistischen Motiven pflegen, fällt dem Faschismus auf. Weil ständig Wahlen anstehen, wird gar nicht wirklich regiert, jede Politik relativiert sich selbst an Partikularinteressen und der “allgemeinen Stimmung” im Volk. Schon die Notwendigkeit einen Konsens zwischen den regierenden Parteien oder den einzelnen Repräsentanten der politischen Herrschaft zu finden, hindert die Politik daran, ihrer Aufgabe tatsächlich nachzugehen. Und kaum will dann doch jemand mal durchregieren, schalten sich Parlament, Opposition und Verfassungsgericht ein und verhindern den notwendigen Aufbruch. Die faschistische Therapie der Kritik an der Politik im Namen des Volkes ist ebenso radikal wie die der Kritik des Volkes im Namen des Staates: Alle beschränkenden Elemente müssen beseitigt werden. Am besten geht die Macht in ihrer Gänze auf ein:e Führer:in über. Um die Macht zu erreichen, verlässt sich der Faschismus nicht auf das demokratische Prozedere, sondern organisiert eine Bewegung der Machtergreifung. Der Faschismus an der Macht räumt dann konsequent mit allen störenden politischen Einflüssen auf und hält an demokratischen Strukturen nur insofern fest, als sie zur Beglaubigung der Einheit von Volk und Staat dienen.
Als nationalistisches Programm wendet sich der Faschismus zudem aggressiv gegen Außen. Als überlegene Nation stehen dem faschistischem Land eigentlich die Reichtumsquellen der ganzen Welt zu. Gleichzeitig ist die Rücksichtnahme auf die Interessen fremder Nationen ein Verrat am eigenen Programm. Auch hier liegt der Unterschied zu demokratischen Systemen weniger in dem generellen Gedanken – dass der Weltmarkt “unseren” Reichtum steigern soll, ist ja nun auch jeder und jedem Demokrat:in bekannt – als viel mehr in der Radikalität der “Therapie”. Die anderen Nationen werden nicht als Partner gesehen, die man für sein eigenes Interesse nutzen möchte, daher aber auch auf ihre Interessen eingehen muss, sondern als Feinde. Daher ist Krieg auch die Konsequenz einer faschistischen Politik. Den Feind im Ausland zu beschwören hat noch den Vorteil, dass dadurch die Nation zusammen geschweißt wird. Durch die Bedrohung von außen gelingt die Darstellung der Nation als organisches Kollektiv.
Die drei hier entwickelten Elemente der faschistischen Ideologie wurden am Beispiel des deutschen Faschismus u. a. in dem Buch „Der Faschismus“ von Konrad Hecker aufgezeigt.
Das faschistische der COVID-Politik
Folgt man dieser begrifflichen Einordnung des Faschismus, dann ist klar, dass wir auch 2021 in Deutschland nicht in einem faschistischen Staat leben. Der Radikalismus, der den Faschismus ausmacht, ist nicht das aktuelle politische Programm. Man kann sich dies an allen Punkten deutlich machen durch das Gedankenexperiment, wie ein im beschriebenen Sinne faschistischer Staat vorgehen würde: In Deutschland landen Querdenker und Impfverweigerer nicht in KZs, die Regierung stellt sich zur Wahl und plant auch nicht, das Parlament zu entmachten oder aufzulösen und auch wenn einige Politiker:innen der Meinung sind, die Welt solle doch am besten am deutschen Impfstoff genesen, so ist von einer offensiven Aufkündigung internationaler Verträge oder gar von Kriegsvorbereitungen nicht viel zu sehen.
Der Begriff des Faschismus beschreibt allerdings eine Ideologie und nicht notwendig ein Herrschaftssystem, das diese vollumfänglich durchsetzt. In diesem Sinne war der Faschismus auch nie weg und erlebt tatsächlich gerade eine bedeutende Renaissance und zwar so wohl in einzelnen politischen Maßnahmen als auch in öffentlich geäußerten Meinungen.
Häufig wird mit „faschistoiden Tendenzen“ argumentiert. Diese doppelte Distanz (erstens nicht faschistisch sondern „nur“ faschistoid, zweitens bloß als Tendenz sichtbar) bekommt der begrifflichen Bestimmung des Faschismus nicht gut. Wie gezeigt, liegt das Besondere des Faschismus gerade in der Radikalität der Therapie und nicht in der Abwegigkeit der angestrebten Ziele. Ließe man faschistoide Tendenzen als begriffliche Bestimmung zu, dann könnte man diese an jedem Gesetz (Einschränkungen der persönlichen Freiheit zum Wohle der Nation), am Fraktionszwang (Führerprinzip) oder an der Fußballeuropameisterschaft (Feiern der eigenen Nation in Gegnerschaft zu den anderen) aufzeigen; und damit würde der Begriff des Faschismus seinen analytischen Gehalt verlieren und wäre ein rein moralischer Vorwurf, Volk und Politik wären „irgendwie“ auf einer schiefen Rampe ins Verderben gelandet.
Anstelle von faschistoiden Tendenzen müssen wir daher faschistische Elemente identifizieren: Einzelne Politiken und Meinungen, die die Bestimmungen des Faschismus – Kritik am Volk im Namen des Staates, Kritik an der Politik im Namen des Volkes und Feindschaft gegen andere Nationen mit der Radikalität verbinden, dass das nationale Interesse über allen anderen Loyalitäten zu stehen hat.
Bei der Analyse dieser faschistischen Elemente ist die besondere historische Situation zu beachten, die ihren Ausgangspunkt in der speziellen Definition der nationalen Notlage hat. Ob es eine nationale Notlage ist, ist immer und ausschließlich eine politische Frage. Zu jeder Katastrophe könnte sich die Politik theoretisch auch immer so stellen, dass sie sagt: Schwere Zeiten, aber wir haben mit unseren eh schon wirksamen Maßnahmen alles im Griff. Umgekehrt kann auch eine ziemlich belanglose Sache – nehmen wir den Vorwurf der Verwahrlosung der Jugend als Beispiel – politisch als nationale Notlage gedeutet werden. Im konkreten Fall konnte man den Umschwung der Politik im Frühjahr 2020 beobachten. Während es zunächst hieß, Covid sei keine Gefahr für Deutschland wurde dann Mitte März auf nationale Notlage umgeschwenkt. Diese politische Entscheidung lässt sich nicht einfach mit steigenden Fallzahlen oder dergleichen erklären, sondern war im eigentlichen Sinne des Wortes souverän: Ab einem bestimmten Punkt haben die politischen Entscheidungsträger:innen beschlossen, dass die Bewältigung der Covid-Situation als nationale Krise politisch sinnvoll ist. Bis es dazu kam, hat man zum Beispiel die Kommunalwahlen in Bayern abgewartet, also noch am 15.03. alle Bürger:innen an die Urne gerufen und jeden Anschein von Panik vermieden, weil man befürchtete, dies würde die AfD in Bayern stärken.
Mit dem politischen Beschluss, Covid als nationale Notlage zu definieren, geht eine Radikalität einher, die tatsächlich faschistisch ist. Insbesondere die privaten Kalkulationen sollen die Bürger:innen hinten an stellen, sich nicht mehr mit anderen Leuten treffen, auf alle „unnötigen“ Kontakte verzichten, sich in ihrer Bewegungsfreiheit einschränken lassen, die Ausübung ihrer Berufe unter einen generellen politischen Vorbehalt stellen und materielle Einbußen durch Kurzarbeitergeld etc. hinnehmen. Eine private Risikoeinschätzung von Krankheitsverlauf und Impfung gilt als volkszersetzend. Gleichzeitig sind die Bürger:innen aber aufgefordert, ihren Dienst an der Nation weiter zu leisten. Auf der Arbeit – zum Beispiel in „systemrelevanten Berufen“ - sollen sie das Ansteckungsrisiko hinnehmen, oder, wenn angeordnet, im Homeoffice ihren privaten Raum (und immer mehr Zeit) dem Unternehmen zur Verfügung stellen. Gleichzeitig wird die Betreuung der Kinder gänzlich den Eltern und Familien abverlangt, egal ob sie das leisten können oder nicht. Auch die Wirtschaft bekommt den Radikalismus der Covid-Politik zu spüren: Ob ein Geschäft weiter durchgeführt werden kann hängt jetzt an der politischen Abwägung, ob der Nutzen für die Nation so groß ist, dass die potentielle Gefahr hinsichtlich Corona hingenommen werden soll oder nicht. Das ist bei den großen Unternehmen natürlich der Fall, aber auch – je nach Verlauf der Pandemie – bei Blumenläden und Friseuren, den Supermärkten, Lieferdiensten und natürlich dem Gesundheitswesen. In den Fällen, wo die geschäftliche Betätigung untersagt wird, kommt es erneut auf eine politische Abwägung an. Wird der Schaden für die Volkswirtschaft hoch genug eingeschätzt, dann gibt es staatliche Hilfen, die den Fortbestand der Geschäfte sichern sollen.
Auch die Durchsortierung des Volkes ist von Anfang an Bestandteil der Covid-Politik. Die Maßnahmen funktionieren so, dass sich der Erfolg durch eine Veränderung des individuellen Verhaltens einstellen soll – was angesichts der vielen Felder, die (siehe oben) der individuellen Entscheidung entzogen sind, fast schon lächerlich ist. Wer sich nicht konform verhält, ist dadurch ein Feind des nationalen Notprogramms und hat mit Konsequenzen zu rechnen. Gerade in der öffentlichen Debatte werden beständig Gruppen identifiziert, die sich volkszersetzend verhalten: Die Maskenmuffel, die Querdenker (die mit ihren Demonstrationen angeblich das Infektionsgeschehen anheizen), die Berliner Partyszene und die Mallorcatouristen, die ihr eigenes Vergnügen höher stellen als das nationale Wohl und schließlich die Impfverweigerer. Spätestens bei letzteren ist es auch nicht mehr nur die öffentliche Meinung, die faschistische Konsequenzen fordert, sondern bereits politischer Mainstream, dass wer sich nicht impfen lässt durch staatliche Gewalt – nämlich Entzug von Freiheitsrechten – in eine Impfung gedrängt oder vom öffentlichen Leben ausgeschlossen werden soll. In der Kategorie „Kritik am Volk im Namen des Staates“ finden sich also eine Vielzahl von faschistischen Elementen.
Bei der Kritik an der Politik im Namen des Volkes sieht es schon anders aus. Das hat zunächst damit zu tun, dass es ja die Regierung selbst ist, die die nationale Notlage ausruft – und natürlich davon ausgeht, dass eigentlich schon die richtigen Personen an der Macht sind. Es gibt zwar die Stimmen – vornehmlich aus der Öffentlichkeit –, die „die da oben“ als unfähig und korrupt darstellen. Gerade beim „Maskenskandal“ lassen sich faschistische Elemente im Diskurs aufzeigen. Die Union zum Beispiel hat von ihren Abgeordneten eine „Ehrenerklärung“ verlangt, die selbst bei rechtskonformer Bereicherung einen Parteiausschluss zur Folge haben kann. Das Argument, auch Abgeordnete hätten doch ein legitimes persönliches Bereicherungsinteresse, tritt an dieser Stelle also in den Hintergrund, um den totalitären Dienst der Volksvertreter bei der Bewältigung der nationalen Notlage zu gewährleisten. Ansonsten gibt es noch eine praktische Kritik des Parlamentarismus durch die Regierung: Zentrale politische Entscheidungen werden von der Kanzlerin in Absprache mit den Ministerpräsidtent:innen getroffen. Einerseits wird da ein Stück weit das Führer:innenprinzip sichtbar, weil insbesondere das Parlament umgangen wird und sich die Covid-Politik in erster Linie auf Notverordnungen stützt. Man kann also schon argumentieren, das die Exekutive auf Kosten der Legislative gestärkt wird. Gleichzeitig ist es ja auch kein wirkliches Durchregieren, wenn die Kanzlerin für jeden neuen Schritt die Zustimmung der Länder braucht. Man sollte auch nicht vergessen, dass die Zustimmung durch das Parlament bei Zeiten eingeholt wird und die stärkste oppositionelle Fraktion im Bundestag (die Grünen) sich eh konsequent bei allen Covid-Abstimmungen enthält. Nicht einmal eine Regierungsumbildung hat die Kanzlerin für nötig befunden. Insofern ist vom faschistischen Radikalismus, der die Politik umkrempeln will, um die Krise der Nation zu bewältigen, wirklich nicht viel zu sehen.
Auch der dritte Punkt, die aggressive Wendung nach außen, ist nicht als Leitgedanke der aktuellen Politik auszumachen. Die Maßnahmen wie Grenzschließungen, Kontrolle des Personenverkehrs, Umwidmung europäischer Gelder etc. hätten zwar durchaus das Potential für schwerwiegende internationale Verwerfungen. Gerade die Synchronität der Grenzschließungen zu UK mit dem Fortgang der BREXIT-Verhandlungen oder die heimliche „Lösung des Flüchtlingsproblems“ durch Grenzkontrollen und Nichtbeschäftigung zeigen, dass längst generelle Fragen des Fortschritts der Nation mit der Pandemie verknüpft werden. Aber eben gerade nicht in der Radikalität des Faschismus. Selbst die Stimmen, die eine Re-Nationalisierung der Wirtschaft gefordert haben, weil es doch nicht sein könne, dass Deutschland auf Maskenlieferungen aus China angewiesen ist, sind schnell verstummt.
Die Begrenztheit der nationalen Notlage
Die Gleichzeitigkeit der aufgezeigten faschistischen Elemente und der fehlenden faschistischen Radikalität haben ihren Grund in der Begrenztheit der ganzen „Nationalen Notlage“. Eigentlich leben wir im „besten Deutschland aller Zeiten“. Nur diese Pandemie bereitet „uns“ Sorgen. Diese Begrenztheit hat zwei Momente: ein zeitliches und ein thematisches.
Die Covid-Maßnahmen sind zeitlich begrenzt. Es geht darum, die temporäre Notlage zu überwinden und nicht darum, einen radikalen Aufbruch der Nation zu gestalten. Gleichzeitig beobachten wir, wie diese zeitliche Begrenzung immer weiter in die Zukunft verschoben wird. „Flatten the curve“ war ein Programm der Verlangsamung. Die Durchseuchung der Gesellschaft sollte passieren, aber in einem Tempo, dass dadurch das Gesundheitssystem nicht überlastet wird. Weil es nie eine nationale Notlage im Gesundheitswesen gab, wurde aus dieser Verlangsamung dann eine Intervention: Durch den „kurzen Lockdown“ im November 2020 sollte ein Infektionsniveau erreicht werden, dass sich politisch händeln lässt. In diese Kategorien fallen auch die Überlegungen, die Inzidenz zu senken, damit dann Kontaktverfolgung wieder möglich ist. Das implizite Versprechen war hier, dass die Maßnahmen, wenn sie jetzt kurz und effektiv durchgeführt werden, sich selbst überflüssig machen. Mit dem nächsten Narrativ hat man die zeitliche Grenze noch weiter verschoben. Wenn alle ein Impfangebot haben, dann gibt es keinen Grund mehr für Einschränkungen. Die private Abwägung, ggf. eben krank zu werden, wurde in diesem Narrativ wieder ins Recht gesetzt. Inzwischen ist aber klar, dass eine Impfung die Pandemie nicht beenden wird. In dieser Logik werden die faschistischen Elemente immer weiter verstärkt: Weil die Impfung nicht zuverlässig schützt, ist es um so wichtiger, dass sich alle Impfen lassen. Und nicht nur einmal, sondern als neues Dauerprogramm. Nicht umsonst (im doppelten Sinne) hat Jens Spahn für 2022 bereits 200 Millionen Dosen Impfstoff geordert. Derzeit zeichnen sich zwei Narrative ab, die beide die zeitliche Beschränkung ad absurdum führen: Die Pandemie soll erstens als neuer Normalzustand anerkannt werden, der zweitens erst endet, wenn die ganze Welt geimpft ist.
„Mit dem Virus leben lernen“ kann entweder heißen, dass das Covid-Risiko auf das Niveau aller anderen privaten Risiken heruntergebracht wird. Dann sind einfach alle selbst dafür verantwortlich, wie sie damit umgehen, wie bei anderen „Krankheiten“ von Krebs bis Burnout auch. Es kann aber auch heißen, dass die Einschränkung der Freiheiten, die Kritik am Volk im Namen des Staates, eben zur neuen politischen Normalität werden kann, dass zu jeder Zeit Lockdowns und ähnliches ein mögliches Mittel der Politik werden.
Der Übergang, die Pandemie endet erst, wenn die ganze Welt geimpft ist, beschreibt ein völlig fiktives und nicht überprüfbares Ziel und hebt die zeitliche Beschränktheit völlig auf. Die ganze Welt wird nie geimpft sein. Das Versprechen ist entweder an Dummheit kaum zu überbieten, oder eine dreiste Lüge. Hinzu kommt, dass darin auch das faschistische Element der Feindschaft gegen andere Nationen steckt. Die deutsche Volksgesundheit wird demnächst vielleicht am Hindukusch verteidigt.
Die zeitliche Beschränktheit ist also derzeit bereits in Auflösung.
Die thematische Beschränktheit scheint momentan noch wesentlich stabiler. Es geht bei der Covid-Politik um Covid, nicht um alles andere. Deshalb besteht auch die realistische Möglichkeit eines Endes der politischen Pandemie. Die Politik hat die Souveränität, die pandemische Lage nationalen Ausmaßes für beendet zu erklären und zum normalen demokratischen Tagesgeschäft zurückzukehren. Es gibt aber auch die Möglichkeit – und auch das zeichnet sich in einigen Bereichen ab – künftig alles unter dem Vorbehalt der Seuchenpolitik zu sehen. Für diese Tendenz spricht, dass die Covid-Politik einen enormen Machtzuwachs der Politik bedeutet. Die heilige schwarze Null ist gefallen und der Staat nutzt seinen Kredit völlig ungebremst, um diverse nationale Ziele (z. B. Wirtschaftsförderung nationaler Champions, Digitalisierung der Gesellschaft) zu erreichen. Gegenbewegungen können mit dem Argument der Hygieneregeln unterbunden werden. In Frankreich war zum Beispiel das Demonstrationsverbot, dass sich gegen die Gelbwesten richtete, eine der ersten Covid-Maßnahmen. Durch die Agitation und Spaltung der Bevölkerung entsteht eine nationale Mobilmachung: Die braven Deutschen sind – wieder einmal – bereit, ihre eigenen Interessen dem Wohle der Nation unterzuordnen. Gerade der letzte Punkt bedeutet einen nicht zu unterschätzenden Machtgewinn der Politik. Denn in der Demokratie geht in gewissem Sinne tatsächlich alle Macht vom Volk aus und daher ist ein Volk, das auf Linie ist und sich jede Einschränkung gefallen lässt, eine positive Bedingung für jedes politische Programm.
Es besteht also ganz reell und ohne Übertreibung die Gefahr, dass die derzeitigen Beschränkungen, die die heutige Situation begrifflich vom Faschismus unterscheiden, in Zukunft aufgehoben werden. Dies scheint möglich, aber nicht wirklich wahrscheinlich. Der realistischste Weg in den Faschismus wäre vermutlich die Beendigung der Covid-Notlage unter Beibehaltung der politischen Interventionsmöglichkeiten und dann ein Machtwechsel, der von Anfang an auf ein umfassendes nationales Aufbruchprogramm zielt.
Was zu tun wäre
Die derzeitige Kritik der Covid-Maßnahmen beschränkt sich fast ausschließlich auf liberale und konservative Stimmen. Der Liberalismus und der Konservatismus haben aber gemeinsam, dass sie das, was der Faschismus radikal setzt, gar nicht kritisieren: Den Nationalismus. Die radikale Kritik des Faschismus wäre sozialistisch in dem Sinne, dass die Volksgemeinschaft attackiert wird durch die Aufzeigung der gesellschaftlich immanenten Widersprüche und gleichzeitig ausgeweitet wird zu einer solidarischen Weltgemeinschaft. Eine solche Position ist in Deutschland aber nicht relevant vertreten.