Folgte man der
politischen Debatte in den letzten Monaten, dann war es nicht
einfach, einen Unterschied zwischen den Positionen der AfD und denen
der anderen Parteien festzustellen – zumindest in der zugespitzten
Form, wie öffentlich über diese Positionen berichtet wurde.* Standpunkte wie „Kriminelle Ausländer raus!“, „Illegale
konsequenter abschieben!“ und „Mehr Geld für Sozialleistungen
für Deutsche statt für Ausländer!“ finden sich heute in den
öffentlichen Statements aller (!) Parteien. Nach dem Einzug der AfD
in den Bundestag hieß es zwar, man wolle die Rechten inhaltlich
stellen, davon scheint aber nicht viel übrig geblieben zu sein. Sehr
deutliche Beispiele dafür sind die Debatten um das Kindergeld, das ins Ausland fließt und um den vermeintlichen Skandal beim BAMF.
Beides sind Themen, die von der AfD gesetzt wurden und die
„inhaltliche Auseinandersetzung“ besteht nun offenbar darin, wenn
vielleicht auch nicht die Positionen, aber zumindest die
Problemdefinition der AfD zu übernehmen.
Anders sieht es mit
Chemnitz aus. Hier gibt es (zunächst) eine klare Trennung zwischen
den Rechten und den anderen demokratischen Parteien. Während die AfD
zusammen mit PEGIDA einen „Schweigemarsch“ organisiert, bildet
sich ein breites Bündnis aller demokratischen Kräfte auf der
Gegenseite.
Die zwei Momente der Differenz sind die Differenz und die Identität.
Worin sind sich die
AfD und die anderen Parteien in der Deutung der Vorfälle in Chemnitz
uneinig? Die Trennlinie zeigt sich an der Bewertung der rechten
Gewalt in Chemnitz. Das Tötungsdelikt wird – verständlicher Weise
– von allen Akteuren verurteilt. Die Frage ist aber, ob man für
die rechten Ausschreitungen Verständnis haben soll oder nicht. Die
demokratischen Parteien sagen nein, weil die Rechten durch Straftaten
während der Demonstration und den Aufruf zur Selbstjustiz das
Gewaltmonopol in Frage stellen. Wie jede Differenz enthält dieser
Gegensatz aber auch ein einendes Moment: Die Rechten sind ja gar
nicht der Meinung, dass man sich generell nicht an die Gesetze halten
sollte und dass sie keine Gegner der staatlichen
Durchsetzungsfähigkeit per se sind, wird an den Abschiebefantasien
deutlich, die sie so lieben. Sie sind keine Staatsgegner, aber sie
sind zunehmend Gegner dieses Staates.
Und die Begründung dafür wird von der AfD laufend ausgesprochen.
Der Staat ist in der Hand der falschen Personen. Dafür stehen die
nicht enden wollenden „Merkel muss weg!“-Rufe. Die
AfD meint das aber gar nicht persönlich. Der Regierung wird
vorgeworfen, sie habe sich an den Interessen des deutschen Volkes
vergangen. Die „Flüchtlingsfrage“ ist dafür der Beleg. Anstatt
sich um die wirklichen Deutschen zu kümmern, wendet sich Politik
gegen das Volk und lässt lauter Fremde rein, die „auf unsere
Kosten“ leben und „unsere Sicherheit“ gefährden.
Der faschistische Gehalt der AfD-Kritik
Diese
Kritik folgt in zweierlei Hinsicht einem faschistischem Muster:
Erstens ist es Kritik am Staat im Namen des Volkes. Das Volk hat eine
Führung/einen Führer verdient, die/der sich für seine Belange
einsetzt. Der Begriff Volk
ist hier entscheidend. Es ist ja nicht der Vorwurf, die Regierung
wäre korrupt oder von fremden Mächten gesteuert. Merkel setzt sich
schon für Deutschland ein, aber in der Lesart der AfD in einer
Weise, die dem deutschen Volk schlecht bekommt. Dieser Volksbegriff
offenbart die zweite faschistische Linie in der AfD-Argumentation: Es
ist darin auch eine Kritik am Volk im Namen des Staates inbegriffen.
Für die Rechten zählen
nämlich nicht einfach alle zum Volk, die Staatsbürger sind und
schon gleich nicht Menschen, denen der Staat ein irgendwie geartetes
Bleiberecht gewährt und die sich jetzt „im Volk“ bewegen aber
gar nicht dazu gehören. In
der Rhetorik der AfD wäre hier der Staat gefordert, um das Volk vor
dieser „Unterwanderung“ zu schützen. Dass die PolitikerInnen das
nicht (so konsequent, wie die AfD das gerne hätte) tun, bestätigt,
dass es sich um „Volksverräter“ handelt. Auf Basis dieser
Argumentation machen die Rechtsradikalen zunehmend einen weiteren
Schritt: Sie sagen diesem Staat
den Kampf an und nutzen die demokratischen Freiheiten, um sich gegen
ihn in Stellung zu bringen. Und sie gehen gezielt
darüber hinaus, um zu demonstrieren, dass sie selbst eine Macht
sind, die sich nicht von
diesen PolitikerInnen
einschränken lässt.
Die Sprachlosigkeit der demokratischen KritikerInnen
Natürlich
gibt es Stimmen, die sich gegen die aufgezeigte völkische
Argumentation richten. Wenn der Bundespräsident zum Beispiel sagt,
es gäbe keine Biodeutschen und deutsch ist, wer einen deutschen Pass
hat, dann weist er die AfD in ihrer Kritik am unterwanderten Volk
zurecht, allerdings mit dem Argument, dass
es der Staat ist, der die Entscheidungshoheit hat. Einigkeit im
demokratischen Lager gibt es da aber nicht. Nicht nur Kubicki
formuliert, dass die Kanzlerin mit ihrer Flüchtlingspolitik Schuld
an der Situation in Chemnitz sei. Die CSU hat immer wieder davon
gesprochen, dass in der Migrationspolitik Rechtsbruch begangen wird.
Die Richtung der Kritik der AfD an der politischen Führung wird also
durchaus von einigen geteilt.
Zumindest kann man nicht von einer allgemeinen Ablehnung dieser
Position bei den demokratischen Kritikern der AfD sprechen. In
der Frage der Migration gibt es inzwischen eher einen Konsens von CSU
bis Linke, dass die Zuwanderung begrenzt gehört. Keine gute
Ausgangsposition um den Argumenten der Rechten entschieden
entgegenzutreten. Somit bleibt nur der letzte Punkt, dass bei allem –
durchaus irgendwie berechtigten – Protest aber das Recht zu wahren
ist. Wenn man jemanden findet, der den Hitlergruß macht, fällt die
Abgrenzung leicht, denn das ist schließlich eine Straftat. Und
selbst dieser Kritikpunkt, der sich auf die Form
und nicht den Inhalt des rechten Protests bezieht, wird derzeit
massiv aus dem bürgerlichen Lager angegriffen. Nicht in dem Sinne,
dass Straftaten toleriert würden. Es wird aber bestritten, dass es
im Chemnitz zu solchen gekommen sei und wenn dann sicher nur
vereinzelt und deshalb kann man damit auch den Protest der Rechten
nicht kritisieren. Dass diese Position vom Ministerpräsidenten, dem
Innenminister und dem Präsidenten des Verfassungsschutzes offen
propagiert wird, zeigt wie fragil die demokratische Einheitsfront
gegen Rechts ist.
Wir sind mehr! Nur wer sind wir?
Der
Slogan der Sammelbewegung gegen Rechts passt leider gut zur
beschriebenen Sprachlosigkeit. Hinter diese Parole können sich die
unterschiedlichsten Positionen stellen, ohne eine gemeinsame Position
zum Thema entwickeln zu müssen. Der Sänger von Feine Sahne
Fischfilet hat irgendwo sinngemäß gesagt, oft wären sie (die
Antifa) gerade nicht
mehr. Das „Wir sind mehr!“ bedeutet hier, wir wollen als Antifa
zeigen, dass die Rechten immer damit rechnen müssen, dass wir ihnen
als Macht gegenüber treten. Der militante Kampf links gegen rechts
ist aber sicherlich nicht das, was Steinmeier unterstützen wollte,
als er für das Konzert warb. Zunächst ist der Verweis auf eine
Mehrheit ein Bestreiten der Objektivität der Position der Rechten.
Eure Auffassung kann nicht stimmen, weil ganz viele und sogar die
Mehrheit anderer Auffassung sind. JedeR
weiß allerdings, dass das quantitative Bestreiten der Objektivität
niemanden überzeugt. Oder hat jemand wirklich jemals ihre/seine
Meinung geändert, nur weil die Mehrheit das anders sieht? Was
bleibt, ist das es darum geht ein Zeichen zu setzen: Wer den Slogan
jetzt auf sein Facebookbild bappt, will sagen: Ich als einzelneR
bestreite den Rechten, dass ihre Auffassung die durchgesetzte ist.
Jetzt würde man gerne hören, mit welchen Argumenten sich denn von
den rechten Positionen abgesetzt wird. Das bleibt aber in der Regel
aus. Gerade die Hauptveranstaltung – ein Konzert – lässt für
diese Diskussion überhaupt gar keinen Platz. So bleibt unterm Strich
bloß die Quantität der Empörung und damit der Bezug auf ein
demokratisches Grundprinzip: Ihr habt Unrecht, weil ihr nicht die
Mehrheit habt. Diese
Argumentation ist nicht nur inhaltlich unbefriedigend, sondern
politisch extrem gefährlich: Was ist denn, wenn die AfD irgendwann
tatsächlich die Mehrheit hat? Hat sie dann doch Recht? Noch schlimmer: Das Argument zielt auf
den demokratischen Anstand. „Eure Position gehört sich nicht!“
Damit wird implizit die Argumentationslinie der Rechten sogar
gestärkt. Denn ihre
Auffassung ist ja, ihr Programm wäre eigentlich im Interesse des
Volkes und Politik und Gesellschaft „unterbinden“ den eigentlich
angesagten Diskurs durch „Political Correctness“ und
„Lügenpresse“. Die bloße
Zurückweisung wird daher die Rechten in ihrer Meinung bestärken.
Rechten zu widersprechen ist nur schwierig, wenn man selbst nationalistisch argumentiert
Dabei
wäre die inhaltliche
Zurückweisung der
rechten Positionen gar nicht so kompliziert, wenn man aufhört, im
nationalen Interesse zu argumentieren. Wenn man sich zum Beispiel
ehrlich die Frage stellt, wem geholfen werden soll, ist die Antwort:
„Denjenigen, die Hilfe am dringensten brauchen, unabhängig von
ihrer Nationalität!“, doch wesentlich einleuchtender, als eine
Abwägung, die versucht, persönliches Leid, Integrationswille,
nationale Ökonomie und nationale Interessen zu verbinden. Und wenn
man feststellt, dass die Hilfe, die den Leuten zukommt, die Probleme
nicht löst, dann wäre die Frage nach den Ursachen von Flucht und
Vertreibung auf dem Tisch, wobei unmittelbar auffällt, das
Deutschland als Waffenexporteur, Exportweltmeister und Macht, die
ihre Interessen überall auf der Welt vertritt, sicherlich nicht
völlig unbeteiligt an diesen
Problemen ist.
Vom Widerspruch zur begrifflichen Kritik
Die
begriffliche Kritik der rechten Positionen ist – wie immer – ein
schwieriges Geschäft. Was
ist verkehrt an der Beziehung von Volk und Staat, wie sie die Rechten
sehen? Es hilft, sich die Dialektik dieser Begriffe anzusehen. Nicht
nur bei den Rechten ist die Vorstellung verbreitet, das Volk wäre
als historisch gewachsene Schicksalsgemeinschaft der Ausgangspunkt,
sprich: Das Volk ist gesetzt.
Der Staat ist dann in dieser dialektischen Entwicklung die politische
Verkörperung des Volkes („Alle Macht geht vom Volk aus.“). Darin
aber ist der Staat gerade getrennt vom Volk. Er
ist die politische Macht und der Volkswille wird nur periodisch in
Wahlen abgefragt. Die Negation dieser Negation besteht dann im
Konzept der Nation. In dieser Gemeinschaft sind Volkswille und
politisches Handeln zusammengefasst. Sie
ist das höhere Gemeinsame, was Volk und Staat eint. Die
Rechten und ihre Kritiker sind sich in der Form dieses Prinzip einig,
streiten aber um den Inhalt der nationalen Ausrichtung.
Eine
Kritik dieses Prinzips (die
hier nur skizziert wird) kann
damit beginnen, den Ausgangspunkt in Frage zu stellen. Jeder Blick
auf eine Landkarte oder in ein Geschichtsbuch zeigt ja, dass es nicht
das Volk ist, das gesetzt ist, sondern der Staat als politische
Herrschaft, der sich dann sein Volk erst
schafft. Herrschaft
bedeutet im wesentlichen Zweierlei: Die Unterordnung der Gesellschaft
unter das politische Kommando und die Behauptung des Staates als
Macht gegen andere Mächte. Herrschaft ist aber nicht der Selbstzweck
eines Staates. Er hat seine Negation (sein Sollen) in dem nationalen
Programm, dass er verfolgt. Als
Nation wird die Bevölkerung für den Erfolg dieses Programms
eingespannt und dadurch auch von ihm abhängig gemacht. Dieser
negative Bezug auf die Leute, die entweder für den Erfolg der einen
Nation oder sogar als Hindernis für den Erfolg der anderen
vorkommen, wird jetzt im Volk negiert.
In der Vorstellung vereint
das Volk jetzt die Interessen der Bevölkerung und des Staates,
dadurch dass beide auf das nationale Programm beschränkt werden.
Diese Vereinigung bleibt aber bloß ideell, da die Interessen der
Bevölkerung ja gar nicht vorkamen. Das Volk ist in Wahrheit ein
Konstrukt. Es ist ein Platzhalter, der eine Einheit von Staat und
Gesellschaft in Abgrenzung zu anderen Staaten kreiert,
ohne diese inhaltlich zu
füllen. Die Kritik am Konzept des Volkes auszuführen, wäre
übrigens ein wichtiger Schritt, Fluchtursachen zu bekämpfen. Denn
die meisten Vertreibungen geschehen im Namen des einen oder anderen
Volkes.
* Es geht bei den Ausführungen nicht darum, wer wann genau was gesagt hat, sondern wie der öffentliche Diskurs sich entwickelt.