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Online-Manipulationen im Zuge der Bundestagswahl

Der folgende Beitrag erscheint in der Januarausgabe von Forschung & Lehre.


Im US-amerikanischen Wahlkampf wurde massiv versucht, die öffentliche Meinungsbildung in den Sozialen Netzwerken zu manipulieren. Dabei wurden Trends durch hyperaktive Nutzer und Bots verfälscht, es wurden Fake-News und Verschwörungstheorien verbreitet und die Parteien selbst setzten Microtargeting ein, um die Wähler zu (de-)mobilisieren. An der Professur für Political Data Science an der Hochschule für Politik der TU München haben wir untersucht, welche Rolle diese Manipulationsformen bei der Bundestagswahl gespielt haben.
Grundsätzlich konnte man im Bundestagswahlkampf alle bisher beschriebenen Formen der Manipulation finden. Allerdings blieb das Ausmaß und vor allem die Wirkung deutlich hinter den Befürchtungen einiger Experten zurück.
Eine gängige Form der Manipulation besteht darin, durch besonders starke Aktivitäten in den Sozialen Netzwerken Trends vorzutäuschen. Dadurch werden die Algorithmen der Plattformen dazu verleitet, die entsprechenden Nachrichten auch anderen Nutzern vorzuschlagen. Es kann auch passieren, dass zum Beispiel Journalisten auf diese falschen Trends hereinfallen und dann einem Thema eine zu hohe Bedeutung beimessen. Diese Art der Manipulation auch in Deutschland ein Fakt. Gerade auf Twitter werden Social Bots eingesetzt, um bestimmte Trends zu verzerren (Hegelich 2016). Die folgende Abbildung zeigt die (skalierte) Häufigkeit der Hashtags #Merkel und #MerkelMussWeg in einem Sample von 350.000.000 Tweets zur Bundestagswahl.
Hashtags #Merkel vs #MerkelMussWeg; Quelle: twitter.com, eigene Berechnung

Es ist schon bemerkenswert, dass der Hashtag #MerkelMussWeg ziemlich konstant über die Zeit benutzt wird (im Durchschnitt in unserem Sample 390 Mal am Tag). Ab August wurde dieser Hashtag dann immer stärker verbreitet. Dabei gibt es nur eine sehr schwache Korrelation zu den anderen Erwähnungen Merkels auf Twitter. Bei einer unverfälschten Kommunikation würde man erwarten, dass beide Zeitreihen auf aktuelle Ereignisse reagieren. Dies ist aber nur bei den Erwähnungen insgesamt der Fall. Dieses unnatürliche Verhalten ist u. a. darauf zurückzuführen, dass viele Social Bots an der Verbreitung des Hashtags #MerkelMussWeg beteiligt waren.

Auch die Manipulation mit Verschwörungstheorien und Fake-News kam während der Wahl zum Einsatz. Allerdings blieb das Niveau deutlich hinter dem in der USA oder auch hinter den Ereignissen im Zuge der „Macron-Leaks“ in Frankreich zurück. Immerhin schaffte es ein Fake-Account mit der Ankündigung, als Wahlhelferin AfD-Stimmen ungültig machen zu wollen, den Bundeswahlleiter zu einer Reaktion zu bewegen (Bundeswahlleiter 2017). Die Aktion ließ sich im Nachhinein einem rechten Troll-Netzwerk zuordnen, die sich davon offenbar einen Mobilisierungsefekt für AfD-Wähler versprochen hatten (Correctiv 2017). Darüber hinaus wurden auf der Plattform 4chan massenhaft Memes erstellt, die die AfD unterstützen sollten. Zudem waren auf der Plattform ganze Archive mit gefälschten Wahlplakaten auffindbar, die im Design von CDU, SPD, Grünen und Linken u. a. die Botschaft verbreiteten, die Parteien würden den unbegrenzten Zuzug von Ausländern befürworten. Dass diese Memes nicht wirklich zum Einsatz kamen, kann auch daran liegen, dass Buzzfeed-Deutschland am 1. September darüber berichtete (Schmehl 2017) und später auch Der Spiegel das Thema aufgriff.
Betrachtet man den Vertrauensverlust der etablierten Medien in Deutschland, insbesondere bei der Social Media affinen Gruppe der jungen Erwachsenen, dann ist nicht auszuschließen, dass solche Manipulationen, die auf Verunsicherung und Misstrauen in politische Institutionen zielen, eine Wirkung entfalten können. In der Altersguppe der 18-24-Jährigen stimmen inzwischen nur noch 37% der Aussage zu, dass man „dem Großteil der Nachrichten meist vertrauen“ kann (Hölig/Hasebrink 2017, 16).
Von deutlich geringerer Bedeutung als in den USA war der Versuch der Parteien, die Bürger direkt über die Sozialen Medien zu manipulieren. Zwar lassen sich auch hier einzelne Beispiel finden, die als Versuch der gezielten Manipulation eingeordnet werden können, es scheint sich dabei allerdings um Einzelfälle zu handeln. Der CDU Politiker Jens Spahn soll nach Berichten der ARD bei AfD-Anhängern für „sichere Außengrenzen“ geworben haben, während er sich anderen Zielgruppen gegenüber wesentlich weltoffener gab (ARD 2017, Minute 41, siehe auch: Netzpolitik 2017). Spahn fiel auch dadurch auf, dass während eines Facebook-Live-Chats Fragen an ihn von seinem eigenen Account gestellt wurden, angeblich von einem ehemaligen Praktikanten, der noch über die Zugangsdaten verfügte (Focus 2017).
Obwohl Microtargeting mit Social Media Daten auch in Deutschland problemlos machbar ist (Papakyriakopoulos u. a. 2017), haben sich die Parteien hier bisher sehr zurückgehalten. Zum einen sicherlich aus ethischen Bedenken, zum anderen aber auch, weil die Erfahrung und zum Teil die Datengrundlage fehlt. Das liegt auch daran, dass in Deutschland außer den Politikern traditionell PR-Agenturen einen starken Einfluss auf die Kampagnengestaltung haben. Dass eine Firma, die sich auf Datenanalysen spezialisiert (vergleichbar mit Cambridge Analytica) in die strategische Ausrichtung einer Kampagne einbezogen wurde, wurde zumindest nicht berichtet. Die FDP ließ sich zwar von dimap ein Modell erstellen, das auf der Ebene von Häuserblocks potentielle FDP-Wähler identifizieren sollte. Die Qualität dieses Modells ist jedoch äußerst fraglich (Hegelich 2017) und es ist auch unklar, welche Rolle dieses Modell überhaupt gespielt hat.
Allerdings haben die Parteien in Deutschland angefangen, den Haustürwahlkampf stärker zu digitalisieren. Vorreiter ist dabei die CDU, die mit der App connect17 die Reaktionen an den Haustüren erfasst hat (allerdings wurden nicht die vollständigen Adressen, sondern nur die Straße gespeichert). Diese Daten können in Zukunft einen wichtigen Grundstein für die Anwendung von Microtargeting bieten.
Die empirischen Befunde in Bezug auf den Bundestagswahlkampf sprechen dafür, dass der Strukturwandel der Öffentlichkeit hier erst begonnen hat. Zwar lassen sich lauter Beispiele für Manipulationen finden. Das Ausmaß ist dabei allerdings in allen Dimensionen wesentlich geringer als das, was sich in den USA beobachten ließ. Hinzu kommt, dass auch die gesellschaftliche Polarisierung in Deutschland mit der in den USA nicht zu vergleichen ist.
Umso bemerkenswerter ist es allerdings, dass die politischen Verwerfungen nach der Wahl für deutsche Verhältnisse einem Erdbeben gleichen: Zum ersten Mal zieht eine rechtsradikale Partei in den deutschen Bundestag ein und die Regierungsbildung gestaltet sich schwieriger als je zuvor.
Meine These ist, dass diese Entwicklungen auch auf den Strukturwandel der Öffentlichkeit zurückzuführen sind, der mit der digitalen Revolution verbunden ist. Wenn Kategorien wie Kommunikation, Freundschaft, Vertrauen, Wahrheit und Diskurs nicht mehr dieselbe Bedeutung haben, wie in der prä-social-media Zeit, dann verändert dies auch die Demokratie.

Literatur und Links

ARD, 2017, Infokrieg im Netz, http://www.ardmediathek.de/tv/Reportage-Dokumentation/Infokrieg-im-Netz/Das-Erste/Video?bcastId=799280&documentId=44858138, 11.12.2017.
Bundeswahlleiter, 2017, https://twitter.com/Wahlleiter_Bund/status/911587950718267393, 11.12.2017.
Correctiv, 2017, Das sind die Fakes am Wahltag, https://correctiv.org/echtjetzt/artikel/2017/09/24/das-sind-die-fakes-am-wahltag/, 11.12.2017.
Focus, 2017, http://www.focus.de/politik/deutschland/waehrend-live-video-cdu-politiker-jens-spahn-passiert-unangenehme-facebook-panne_id_7616971.html, 11.12.2017.
Hegelich, Simon, 2017, #FDPLeaks: Hype und Hybris im Datenwahlkampf, https://politicaldatascience.blogspot.de/2017/08/fdpleaks-hype-und-hybris-im.html, 11.12.2017.
Hegelich, Simon, 2016, Invasion der Meinungs-Roboter, in, Analysen & Argumente 221 (2016), 1-9.
Hölig, Sascha/ Hasebrink, Uwe, 2016, Reuters Institute Digital News Survey 2016 – Ergebnisse für Deutschland, Arbeitspapiere des Hans-Bredow-Instituts Nr. 38.
Netzpolitik, 2017, Wahlkampf in der Grauzone, https://netzpolitik.org/2017/wahlkampf-in-der-grauzone-die-parteien-das-microtargeting-und-die-transparenz/, 11.12.2017.
Papakyriakopoulos, Orestis, u.a., 2017, Microtargeting in Deutschland, in, Informatik-Spektrum 40 (4), 327-335.

Schmehl, Carsten, 2017, Willkommen in der Welt von 4chan, https://www.buzzfeed.com/karstenschmehl/willkommen-in-der-welt-von-4chan?utm_term=.xnXyVPEy1#.evQ28We2d, 11.12.2017.

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