Direkt zum Hauptbereich

Anmerkungen zum Entlastungspaket

Was das Entlastungspaket über die gewollte Belastung und die Beschaffenheit der Einkommensquelle Lohn etc. verrät 

Die Bundesregierung hat ein neues so genanntes „Entlastungspaket” (https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/drittes-entlastungspaket-2082584) beschlossen und die politische Debatte kreist überwiegend um die Frage, ob diese Entlastung denn ausreichend ist.

Nehmen wir uns stattdessen einmal die unerhörte gedankliche Freiheit, zu fragen, worin denn die Belastung besteht, die nun verringert werden soll.

Einerseits ist die Antwort offensichtlich: Es geht darum, dass die steigenden Preise – insbesondere die Energiekosten – die Normalbürger vor massive Probleme stellen. Insbesondere die Empfänger kleinerer Einkommen (dazu zählen auch Sozialleistungen wie Renten, BAFöG, Arbeitslosengeld) sollen durch die neuen Regeln entlastet werden. Und das ist dem Staat einiges wert: 65 Milliarden Euro sollen in der Summe (alle Maßnahmen – auch die, die auf andere Gruppen zielen – und die bereits in Kraft getretenen Entlastungspakete zusammengenommen) umverteilt werden.

Der Fokus auf die unteren Einkommensschichten stellt klar, dass die Preissteigerungen eben nicht alle gleichermaßen treffen. Wer viel Geld zur Verfügung hat, kann auch steigende Preise für Lebensmittel oder Energie ganz anders auffangen. Nicht das Steigen der Preise per se ist die Belastung, gegen die gegengesteuert werden soll, sondern eine Überlast, die so dramatisch ist, dass sie die unteren Einkommen schlicht überfordert. Während die einen die Preise zahlen müssen und das offenbar absehbar nicht mehr können, ist die Preissteigerung für die Wirtschaft erst einmal kein Problem: Es sind ja die Unternehmen, die ihre Preise anheben… und damit eine Kettenreaktion in Gang setzen. Denn die Waren (wie Energie), die die Unternehmen zu teureren Preisen verkaufen, werden ja von anderen Unternehmen gekauft, um damit ihre Produktion durchzuführen. Insofern steigern die erhöhten nominellen Gewinne des einen Unternehmens die Produktionskosten des nächsten Unternehmens. Letzteres versucht, diese Preissteigerung dann an seine Kunden weiterzureichen und so wird eine Verallgemeinerung des gestiegenen Preisniveaus erreicht, die letzten Endes alle Waren betrifft. Der Endverbraucher hat nicht die Möglichkeit, seine gestiegenen Kosten weiterzugeben und stellt die Preissteigerung daher schlicht als Abzug vom monatlichem Gehalt fest. Klar: Auch das Weiterreichen der gestiegenen Preise durch die Unternehmen ist kein Automatismus. Wie immer in der freien Marktwirtschaft entscheidet die Konkurrenz, welches Unternehmen die gestiegenen Kosten dann tatsächlich auffangen kann, welches Unternehmen auf einem Teil dieser Kosten sitzen bleibt – und eventuell auch dadurch insolvent wird – und welches Unternehmen in dieser neuen Situation sogar Extraprofite machen kann. Dass die Unternehmen die allgemeine Preissteigerung als Verschärfung ihrer Konkurrenz erleben und ins Werk setzen, ist aber kein Widerspruch gegen die simple Tatsache, dass die Wirtschaft höhere Preise verlangt, für die die Normalbürger aufkommen müssen. Jedes vereinnahmende Gerede, dass „wir alle“ gleichermaßen betroffen wären, ist daher Unfug. (Wie Deutschland als Staat durch die Preissteigerung politisch herausgefordert wird, soll weiter unten erläutert werden. Hier gilt es zunächst festzuhalten, dass nicht „wir Deutschen“ unter den gestiegenen Preisen leiden, sondern die deutschen Arbeitnehmer begrifflich anders betroffen sind, als die deutsche Wirtschaft.)

Die Belastung, um die es geht, lässt sich auf die alte Frage bringen, ob der Lohn zum Leben reicht. Und zwar nicht, weil nicht genügend Geld da wäre: Mit 65 Milliarden ließen sich die Stromrechnungen schon ein paar Jährchen lang begleichen. Gebildete Leser werden jetzt einwenden wollen, dass eine solche Umverteilung mit der Gießkanne ja bloß die Inflation befeuern würde und die Erwerbstätigen daher letzten Endes nichts davon hätten. Das mag sein, oder auch nicht, es ist hier eh nicht als politische Alternative gemeint. Das Argument hier ist, dass die politische Intervention weder darauf zielt, die Last der Erwerbstätigen aufzufangen, geschweige denn, an der offenbar unzulänglichen Einkommensquelle etwas zu ändern. Und das nicht, weil nicht genügend da wäre, sondern weil der politische Zweck ein anderer ist. Die Last verringern ist eben nicht das selbe, wie die Last zu beseitigen, oder dafür zu sorgen, dass jeder der muss sie stemmen kann.

Die politische Intervention zielt darauf, das massenhafte Versagen der Erwerbsquelle Lohn/Gehalt/Sozialleistung zu verhindern. Darin ist inbegriffen, dass die Belastung an sich schon richtig ist. Dass man am Monatsende weniger Geld zur Verfügung hat, als in den Jahren zu vor, geht völlig in Ordnung, so lange diese Belastung (also das Verhältnis von gestiegenen Kosten und stagnierendem Einkommen) als zumutbar interpretiert wird. Gleichzeitig machen die Politik keinen Hehl daraus, dass sie „in diesen schweren Zeiten“ einiges für zumutbar halten. Die allgegenwärtige Gürtel-enger-schnallen-Rhetorik wird sogar in praktische Lebenstipps übersetzt: Kalt Duschen, Temperatur absenken und einen Waschlappen verwenden als Life-Hacks. Gerade die Entlastung in Form von Einmalzahlungen macht deutlich, dass sich an der ungünstigen Situation in der (aktuelle, zukünftige, ehemalige und zwischenzeitlich nicht verwendete) Erwerbstätige stehen, durch die Intervention überhaupt nichts ändert. Leben muss man von dem was man kriegt und was einem zusätzlich und einmalig zugeteilt wird. In diesem Sinne ist das Entlastungspaket eine Verarmungsoffensive. Mit weniger aber dennoch zurechtkommen, ist der politische Auftrag, der von der Regierung an die Einkommensbezieher geht.

Auf der Seite der Wirtschaft ist das Entlastungspaket ein ins Recht setzen der laufenden Bereicherung der Unternehmen. Denn wenn das mit dem Zurechtkommen klappt, heißt das ja auch, dass die steigenden Preise bezahlt werden und sich als Mittel für den Profit bewähren.

Und genau das ist die staatliche Kalkulation, die dem Entlastungspaket zugrunde liegt. Der Lohn soll in seinen zwei grundlegenden Funktionen erhalten werden: Er soll einerseits die einzige und alternativlose Einkommensquelle der Normalbevölkerung sein und gleichzeitig die verlässliche Quelle, um die produzierten Waren und Dienstleistungen in Profite der Unternehmen zu verwandeln. Das ist ein Widerspruch und daher gibt es auch kein richtiges Maß, wie viel Entlastung den nun sein müsste. Die Politik legt vor und diktiert ein neues Armutsniveau, welches sie als verträglich genug für die Bevölkerung, die Wirtschaft und – wie der Kanzler gleich zweimal in der Pressemitteilung der Regierung betont – für den gesellschaftlichen Zusammenhalt erachtet.


Beliebte Posts aus diesem Blog

Kritik an dem Science-Artikel der Priesemann-Gruppe „Inferring change points in the spread of COVID-19 reveals the effectiveness of interventions“

Der Science-Artikel von Dehning et al. (2020) gilt als Beleg für die Effektivität der Corona-Maßnahmen in Deutschland im März 2020. Wir glauben, dass der Artikel gravierende Fehler enthält und daher nichts darüber aussagt, ob insbesondere das Kontaktverbot vom 23.03.2020, irgendeinen Effekt hatte. Unsere Kritik haben wir bei Science eingereicht und sie ist hier zu finden: https://science.sciencemag.org/content/369/6500/eabb9789/tab-e-letters Im folgenden übersetze ich unseren Beitrag und gehe anschließend auf die Frage ein, wie Wissenschaft unter COVID-19-Bedingungen funktioniert und was daran bedenklich ist. Eine Kritik an ‘Inferring change points in the spread of COVID-19 reveals the effectiveness of interventions’ Wir haben den Artikel ‘Inferring change points in the spread of COVID-19 reveals the effectiveness of interventions’ analysiert und dabei gravierende Unstimmigkeiten im Design der Studie festgestellt: Anstatt das Datum der Wendepunkte (wann sich die COVID-19-Entwicklung i

Was man an der COVID-Politik über Faschismus lernen kann

Kritiker der Corona-Politik führen immer häufiger den Begriff Faschismus im Munde, um die politischen Maßnahmen zu beschreiben. Einerseits ist damit natürlich eine polemische Ablehnung verbunden: Wer will schon für Faschismus sein? Generell ist der moralische Vorwurf, etwas sei faschistisch oder faschistoid in der demokratischen Auseinandersetzung durchaus geläufig. Dabei wird jedoch meist auf etwas verwiesen, was zum demokratischen Staat dazu gehört und gerade keinen Faschismus begründet: Die Polizei, die das Gewaltmonopol durchsetzt, ist keine faschistische Organisation, ein Parlament, welches Bürgerrechte einschränkt, ist kein Beleg für die faschistische Aufhebung des Rechtsstaats und ein Medienartikel, der dazu aufruft, Bürger sollen Straftäter anzeigen, ist keine faschistische Propaganda, usw. All dies sind Beispiele für das Leben in demokratischen Gemeinwesen. Anstatt die Demokratie also immer gleich auf dem Weg in den Faschismus zu wähnen, wäre es angebracht, sich zu fragen, war

Der Nutzerismus: Eine Ideologie mit totalitärem Potential

Ich glaube, dass wir derzeit den Aufstieg einer Ideologie erleben, die ich Nutzerismus nennen möchte. Hannah Arendt hat darauf hingewiesen, dass jede Ideologie zu einem totalitaristischen Regime führen kann und es gibt ernste Anzeichen, dass dies auch für den Nutzerismus gilt.  Was ist der Nutzerismus? Wie bei jeder Ideologie ist der Kerngedanke sehr einfach: Im Prinzip gibt es für alle gesellschaftlichen Probleme eine technische Lösung. Leider wenden die Menschen die richtigen Technologien nicht an. Sie nehmen ihre Rolle als Nutzer nicht wahr. Es geht dem Nutzerismus also um das Zusammenspiel von Mensch und Technik, allerdings immer wieder aus der gleichen Perspektive. Die Technik kommt vor als potentielle Lösung eines gesellschaftlichen Problems. Eventuell fehlt die perfekte Lösung noch, aber das ist dann als Auftrag an die Wissenschaft und die Ingenieure zu verstehen. Dieser Technikglaube hat etwas sehr Naives. Er abstrahiert zum Beispiel von allen Interessen, für die Technologien