Laut offiziellem Impfwochenbericht der UK-Regierung ist die Inzidenz der COVID-Fälle bei den über 18-Jährigen bei den Geboosterten höher als bei den Ungeimpften
Der Report ist unter folgendem Link abrufbar: https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/1054071/vaccine-surveillance-report-week-6.pdf
Die wesentlich höhere Inzidenz der Geboosterten ist bemerkenswert, widerspricht dieses Faktum doch der Theorie, dass die Impfung irgendwie ein bisschen gegen Ansteckung hilft, zumal wenn man sich geboostert hat.
Einige der häufig angebrachten “Beiträge” gerade in den Sozialen Netzwerken, erklären dieses Phänomen NICHT:
Es geht nicht darum, dass ja die Anzahl der Geboosterten auch höher ist als die der Ungeimpften. Hier werden keine absoluten Zahlen gegenübergestellt, sondern die Größe der jeweiligen Gruppe ist bereits eingerechnet. Von 100.000 Personen über 80, die mindestens 3 mal geimpft wurden, hatten in den letzten Wochen 1.413,6 Personen einen positiven PCR-Test. Von 100.000 Ungeimpften über 80 waren es 983. Die Inzidenz in dieser Gruppe der Geboosterten ist also 1.4-Mal so hoch, wie die der Ungeimpften. In anderen Altersgruppen ist die Inzidenz sogar mehr als doppelt so hoch.
Wie aus dem Beispiel hervorgeht, hat es auch NICHTS damit zu tun, dass mehr Ältere geboostert sind. Die Daten differenzieren ja gerade nach Alter.
Es reicht auch NICHT, “Korrelation ist keine Kausalität!” zu rufen. Zwar wissen wir aus den Daten nicht, was der Kausaleffekt ist. Aber: Nach dem “Law of Common Cause” ist davon auszugehen, dass ein solcher statistisch signifikanter Unterschied auch einen Grund hat. Entweder, das Boostern begünstigt die Ansteckung (bzw. Ungeimpftsein schützt vor Ansteckung), oder es gibt etwas Drittes, was auf die Gruppe der Geboosterten und der Ungeimpften wirkt, und so diesen Effekt hervorbringt.
In genau dieser Richtung argumentiert der Report, der die Tabelle gleich mit mehreren Warnhinweisen versieht. Man soll den Vergleich nicht für die Bestimmung der Impfeffektivität heranziehen, die entscheidende Spalte ist fett hinterlegt, als Warnung, dass man bei der Interpretation besonders vorsichtig sein soll und es wird ausgeführt:
“The case rates in the vaccinated and unvaccinated populations are unadjusted crude rates that do not take into account underlying statistical biases in the data and there are likely to be systematic differences between these 2 population groups. For example:
• testing behaviour is likely to be different between people with different vaccination status, resulting in differences in the chances of being identified as a case
• many of those who were at the head of the queue for vaccination are those at higher risk from COVID-19 due to their age, their occupation, their family circumstances or because of underlying health issues
• people who are fully vaccinated and people who are unvaccinated may behave differently, particularly with regard to social interactions and therefore may have differing levels of exposure to COVID-19
• people who have never been vaccinated are more likely to have caught COVID-19 in the weeks or months before the period of the cases covered in the report. This gives them some natural immunity to the virus which may have contributed to a lower case rate in the past few weeks”
Was ist von den genannten Erklärungen zu halten?
Das Testverhalten unterscheidet sich ziemlich sicher zwischen Geimpften und Ungeimpften. Insofern kann es sein, dass in der einen Gruppe mehr getestet wird und so höhere Fallzahlen entstehen. Im konkreten Fall würde das also bedeuten, dass sich Geboosterte über 18 wesentlich häufiger testen lassen, als Ungeimpfte. Das wäre zumindest sehr merkwürdig. Der NHS empfiehlt zum Beispiel Personen, die Kontakt zu Infizierten hatten, “nur” einen Schnelltest wenn sie selber vollständig geimpft sind. Ungeimpften wird ein PCR-Test empfohlen. (https://www.nhs.uk/conditions/coronavirus-covid-19/testing/get-tested-for-coronavirus/) Somit müsste eigentlich die relative Anzahl der PCR-Tests bei den Ungeimpften höher sein.
Das zweite Argument ist, dass sich eher diejenigen boostern lassen, die ein höheres Ansteckungsrisiko haben. Auch dieses Argument könnte richtig sein. Der Hauptfaktor “Alter” ist allerdings bereits berücksichtigt. Was bleibt sind soziale und gesundheitliche Unterschiede. Soziale Unterschiede könnten sich auf Familien-, Wohn- oder Arbeitsverhältnisse beziehen. Wer in einem Altenheim wohnt, lässt sich vielleicht eher boostern und hat dann trotzdem noch ein höheres Ansteckungsrisiko als der ungeimpfte Lord in seinem Schloss. Es wäre aber sehr merkwürdig, wenn sich solche Faktoren relativ gleichmäßig über alle Altersgruppen über 18 verteilen. Genauso verhält es sich mit gesundheitlichen Faktoren. Vielleicht werden sich Personen, die zum Beispiel eine Immunerkrankung haben, eher boostern lassen. Ihr persönliches Ansteckungsrisiko könnte sinken, obwohl die Inzidenz in der Gruppe deutlich über der der gesunden Ungeimpften liegt. Aber gerade bei medizinischen Faktoren würde man eigentlich einen deutlichen Unterschied zwischen den Altersgruppen erwarten.
Das dritte Argument hat es in sich: Vielleicht verhalten sich Geboosterte und Ungeimpfte unterschiedlich. Die Geboosterten fühlen sich sicher und setzen sich eher einem Ansteckungsrisiko aus. Das würde bedeuten, dass die Geboosterten der Treiber der Pandemie sind. Diese Theorie widerspricht aber dem ersten Argument, dass die Ungeimpften die Unvorsichtigen sind und sich nicht testen lassen wollen. Wenn man unterstellt, dass die Impfung zu einem Verhalten führt, welches negative Auswirkungen hat, dann ist das im übrigen aus einer Public-Health-Perspektive ein Argument gegen die Impfung, welches den rein medizinischen Effekt aufwiegen könnte.
Das letzte Argument ist eine wirkliche Perle: Weil die Ungeimpften nicht geschützt sind, haben sich viele von ihnen bereits mit COVID infiziert und haben jetzt eine gewisse natürliche Immunität aufgebaut. Es kann sich dabei ja aber nur um eine Teilmenge der Ungeimpften handeln, während alle Geboosterten von der Immunität durch mindestens drei Impfungen profitieren. Das würde bei den vorliegenden Zahlen bedeuten, dass die natürliche Immunität ungleich stärker vor Covid schützen würde, als die Boosterimpfung. Hinzu kommt – die Zahlen belegen das ja gerade –, dass sich auch Geimpfte infizieren und eine zusätliche natürliche Immunität aufbauen. Und dennoch soll die Wirkung von mindestens drei Impfungen plus ein Anteil an Genesenen gegen Ansteckung so viel schlechter sein, als bei einer Gruppe von Ungeimpften mit unbekanntem Anteil an Genesenen. Im Vergleich zur natürlichen Immunität wäre die Impfung dann ziemlich schwächlich. Zudem widerspricht das Argument der Annahme, dass die Geboosterten wegen sozialen oder medizinischen Faktoren ein höheres Ansteckungsrisiko haben.
Fazit
Die angeführten Argumente sind weder für sich noch in ihrer Summe besonders plausibel. Hinzu kommt, dass es sich bei allen Behauptungen um unbewiesene Ad-hoc-Theorien handelt. Warum wird nicht ermittelt, wie oft sich Geboosterte und Ungeimpfte testen lassen? Welche Risikofaktoren finden sich bei den Geboosterten, dass eine Ansteckung wahrscheinlicher wird? Haben Geboosterte wirklich mehr (oder leichtsinnigere) Kontakte als Ungeimpfte (und sind vielleicht gar Treiber der Pandemie)? Was ist der Anteil der Genesenen bei den Ungeimpften und den Geboosterten? Die Fragen ließen sich alle klären und mit Empirie belegen, bzw. sind viele dieser Fragen schon wissenschaftlich untersucht. Gerade der NHS verfügt über hervorragende Daten. Hier hat jede Person eine eindeutige Nummer, mit der sich die gesamte Krankenakte verbinden lässt. Der NHS weiß also ganz genau, wie viele der Ungeimpften und der Geboosterten wegen COVID behandelt wurden. Wieso wird an dieser Stelle gemutmaßt, anstatt die Zahlen auszuwerten?
In der Wissenschaftstheorie gilt der Grundsatz, dass eine Theorie, die mit weniger Variablen und Hypothesen auskommt, einer komplexeren Theorie vorzuziehen ist, die den gleichen Sachverhalt erklärt. (Ockhams Rasiermesser)
Die einfachere Theorie ist ganz klar: Boostern hat eine ansteckungsfördernde Wirkung.
PS: Die Frage, wer genesen ist und wer nicht, ist übrigens auch für die Effektivität der Impfung absolut relevant. Wenn das nicht erhoben wird, weiß man einfach nicht, ob man wirklich den Effekt der Impfung misst, oder bloß die sich aufbauende natürliche Immunität.
PPS: Die Tabelle legt zunächst den Schluss nahe, dass die Impfung sehr gut vor einem schweren Verlauf und Tod schützt. Bemerkenswert ist allerdings, dass hier die Ungeimpften mit den Geboosterten verglichen werden. Da man ja nicht einfach von heute auf morgen geboostert ist, sondern erst mindestens drei Impfungen genossen haben muss, ist dieser Vergleich nicht wirklich aussagekräftig. Man müsste sich anschauen, wie viele COVID-Tote es bei den Ungeimpften und bei allen Geimpften (ab der ersten Impfung) gibt. Das werde ich im nächsten Beitrag untersuchen.