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Neue Veröffentlichung: Der Aufstieg der #AfD in den Sozialen Netzwerken

Das Political Data Science Team hat eine neue Veröffentlichung zum Thema "The Rise of Germanys AfD: A Social Media Analysis" vorzuweisen. Erstautor ist der fabelhafte Juan Carlos Medina Serrano und der Artikel ist als open access erschienen als:
Serrano, Juan Carlos Medina, Morteza Shahrezaye, Orestis Papakyriakopoulos, and Simon Hegelich. "The Rise of Germany's AfD: A Social Media Analysis." In Proceedings of the 10th International Conference on Social Media and Society, pp. 214-223. ACM, 2019.
URL: https://dl.acm.org/citation.cfm?id=3328562

Cross-platform-analysis

Ein großes Problem in der aktuellen Social Media Forschung ist, dass meistens nur einzelne Plattformen (und häufig nur Twitter) betrachtet werden. Wir untersuchen in dem Artikel Twitter, Facebook, Instagram und YouTube und schauen auf die Beiträge der deutschen Parteien. Der Vergleich von unterschiedlichen Plattformen ist nicht nur deshalb wichtig, weil ansonsten ein sehr verzerrtes Bild entsteht: Erstens wird die Reichweite und Bedeutung von Social Media sonst häufig unterschätzt (nur 2% der Deutschen haben einen Twitteraccount...). Zweitens werden die unterschiedlichen Plattformen naturgemäß mit unterschiedlichen Inhalten und Strategien bespielt. Drittens gibt der Vergleich der Plattformen Aufschluss über die zentralen Social Media Strategien der Parteien. Für alle Parteien untersuchen wir vier Kategorien, die zeigen, wie stark die Parteien engagiert sind und welchen Erfolg sie bei den Nutzern haben: party engagement, user engagement, message spread und acceptance. 
Die folgende Tabelle zeigt, wie die vier Kategorien auf den einzelnen Plattformen gemessen wurden.


Die Nutzerreaktionen folgen dabei im Prinzip einer Log-Normalverteilung. Das ist deshalb relevant, weil damit gesagt ist, dass eine kleine Anzahl von Nutzern für den Großteil der Reaktionen verantwortlich ist.

Ergebnis

Auf allen Kanälen ist die AfD dominant, sowohl hinsichtlich ihrer Aktivitäten als auch hinsichtlich ihrer Reichweite.


Auf Facebook ist die AfD die Partei, die mit Abstand die meisten Reaktionen bei den Nutzern hervorruft. Hier kommen drei Dinge zusammen: 1) Facebook ist DAS Kommunikationsmittel für die AfD, schon um die gängigen Medienkanäle umgehen zu können. 2) Die AfD verfolgt eine klare Strategie, alle Anhänger zur Interaktion aufzufordern ("TEILEN, TEILEN, TEILEN!"). 3) Es gibt Hinweise, dass es sich bei vielen Interaktionen nicht um authentisches Verhalten handelt, sondern dass bewusst mit zusätzlichen Accounts versucht wird, die Seiten der AfD zu pushen. Dies sieht man an der Verteilung der Daten, in der einzelne Hyperaktive Nutzer eine noch größere Rolle spielen als bei anderen Parteien.
Dieses Muster wiederholt sich im Prinzip bei den anderen Plattformen.



Auf Twitter fällt besonders die extrem hohe Zahl von Likes und Retweets auf. Zudem ist hier das Verhältnis von Likes zu Retweets mit ca. 2,3 sehr ungewöhnlich. Keine andere Partei bekommt annähernd so viele Retweets (die ja zu einer stärkeren Verbreitung führen) pro geliktem Tweet. Auch dies kann als Zeichen für nicht-authentisches Nutzerverhalten gewertet werden.


Auf YouTube haben Die Grünen etwas mehr Videos gepostet als die AfD und deutlich mehr Views. Die AfD hat aber wesentlich mehr Kommentare und Likes und weniger Dislikes. Auch hier liegt der Schluss nahe, dass diese Kennzahlen aus der beschriebenen Strategie resultieren.


Und genau dieses Bild wiederholt sich auf Instagram. Die AfD hat zwar weniger Posts als die CSU, aber deutlich mehr Kommentare und Likes.

Warum ist das wichtig?

Folgt man der These - und die beschriebenen Daten legen dies nahe -, dass die AfD ihre dominante Stellung in den Sozialen Netzwerken auch durch nicht-authentisches Nutzerverhalten erlangt, dann ist zunächst festzuhalten, dass die AfD ein Scheinriese ist: Oberflächlich betrachtet kann der Eindruck entstehen, die Partei (und damit ihre Inhalte) wäre besonders relevant für den politischen Online-Diskurs. Dies kann zum Beispiel Journalist*innen dazu verleiten, der AfD einen viel größeren Stellenwert einzuräumen als sie eigentlich verdient.
Zweitens aber ist dieses künstliche Aufblähen eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: Je mehr sich die Partei in den Sozialen Netzwerken groß macht, um so stärker springen die rein qualitativ getriebenen Algorithmen der Plattformen an und der Inhalt der AfD wird - zumindest potentiell - immer mehr Leuten in ihre Timeline gespielt. Gerade Facebook setzt zur Berechnung der Relevanz von Posts auf "meaningful interaction". D. h., je mehr Comments, Shares und Likes es gibt, umso relevanter findet der Algorithmus diese Inhalte. Für Katzenvideos mag das in Ordnung sein. Im politischen Onlinediskurs wird so die platteste und lauteste Stimme, noch dazu künstlich verstärkt durch Accounts, die aus rein politischer Absicht mit den Seiten interagieren, zur vorherrschenden Meinung.

Obwohl sich diese Ergebnisse nun seit Jahren konstant in allen Untersuchungen immer wieder bestätigen, gibt es nach wie vor bei vielen Akteuren wie dem BSI und bei einigen Politiker*innen nicht nachvollziehbare Bedenken, das Problem adäquat zu benennen: Das Hacking des politischen Onlinediskurses geschieht von rechts und hört auf den Namen AfD.

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